Jegyes-STAR - https://youtu.be/SxqUoUvNBXY?t=10
Keresztény jóga - https://www.youtube.com/watch?v=8g236T8j4zI
Jegesfürdő: https://www.youtube.com/watch?v=iiKM7bmbfiw
Wikipedia: Ostentatio genitalium
1929 - Eric Gill (Eve) -/- (erotic wood)
Doris Wishman - Ihr Werk lässt sich überwiegend dem Sexploitationfilm zuordnen.
Josef Spindelböck
Von der notwendigen Wiederentdeckung der Keuschheit:
Ein Ausweg aus sozialer und kultureller Dekadenz
Vortrag beim „Forum Moraltheologie Mitteleuropa“
(24.-27. August 2009 im Bildungshaus St. Gabriel bei Mödling)
Das Generalthema des diesjährigen „Forums Moraltheologie Mitteleuropa“ befasst sich mit der Sexualisierung der Medien und ihren Folgen und mit der Suche nach positiven Antworten auf diese Situation aus psychologischer, soziologischer und philosophisch-theologischer Perspektive.
Jeder von uns hat seinen besonderen, ja individuellen Zugang zur Wirklichkeit[1]; wir sind geprägt durch unsere Familien- und Lebensgeschichte und durch jeweils konkrete Herausforderungen in Beruf und Gesellschaft. Und doch sind wir alle auch eingebettet in gemeinsame kulturelle und soziale Lebensfelder – in Milieus und Traditionen –, die unser Denken und Handeln in ähnlicher Weise mitbedingen und auch beeinflussen und die wiederum auch von unserer Freiheit in sittlicher Verantwortung gegenüber uns selbst, gegenüber den Mitmenschen und vor allem gegenüber Gott gestaltet werden sollen. Kurz gesagt: Das soziale Milieu prägt uns, doch wir sind auch selbst wieder für dessen Ausformung mitverantwortlich. Dies gilt im Positiven wie im Negativen: in Bezug auf das sittlich Gute, das zu bejahen und zu verwirklichen ist, und in Bezug auf das sittlich Böse, das wir innerlich ablehnen und in allem auch effektiv meiden sollen.
Wenn von der Sexualisierung der Medien die Rede ist, sollte uns klar sein, dass die Mittel der sozialen Kommunikation in ihren verschiedenen Formen nicht gleichsam hypostasiert für sich allein bestehen, sondern dass es um einen Ausdruck des Denkens und Wollens konkreter Menschen bzw. sozialer Gruppen geht und natürlich auch immer um das Bestreben jener Akteure, das Denken, Wollen und Handeln der Adressaten in der einen oder anderen Weise – positiv oder negativ – zu beeinflussen. Die klassische Aufteilung der medialen Bezugsgruppen in Akteure (oft Medienproduzenten genannt) und Rezipienten (die als Medienkonsumenten gelten) stellt gewiss eine Verkürzung dar. Medien sind ihrem Wesen und Anspruch nach keine Einbahnstraße, sondern Foren des Austauschs und der Kommunikation, also der jeweiligen Wechselwirkung (Interaktion).
Die elektronischen Medien verwirklichen diesen grundlegenden Zusammenhang noch konkreter, wie dies am Beispiel des Internets und damit verbundener neuer kommunikativer Formen und damit verbundener Möglichkeiten des Ausdrucks und Austauschs ersichtlich ist (Webpages, Foren, Blogs, Facebook, Twitter, Youtube etc.). Der ethische Standard des Gebrauchs der einzelnen Medien lässt sich danach bemessen, inwieweit die Personen in ihrer unveräußerlichen Würde geachtet werden und inwieweit es in der Form der Kommunikation um ein Anerkennen und Erstnehmen des personalen Gegenübers in Einsicht und Freiheit geht. Wo diese Wesensmerkmale des verantwortlich gelebten Menschseins gleichsam übersprungen werden, droht die Gefahr der Manipulation. Diese zielt eben gerade nicht darauf ab, andere zu überzeugen und in ihrer unvertretbaren Freiheit zum guten Handeln zu motivieren, sondern möchte andere Menschen wie „blinde Werkzeuge“ für bestimmte Zwecke instrumentalisieren. Dabei bleiben die wirklichen Absichten der Akteure oft im Dunkeln, und die eigentliche Triebkraft des Handelns wird nicht in der Freiheit der Entscheidung gesehen, sondern in den zu weckenden und zu lenkenden Impulsen und Trieben einer auf das Biologische verkürzten menschlichen Natur.
Wenn von einer weit verbreiteten „Sexualisierung der Medien“ zu sprechen ist, dann ist dieses Phänomen gerade hier einzuordnen, wo es um die Problemanzeige eines auf das Biologische verkürzten Menschenbilds und um die Klärung der Differenz zwischen Manipulation und Freiheit geht. Wir stehen vor der Alternative zwischen Wahrheit und Illusion, zwischen einer Freiheit, die sich an das Gute bindet, und grenzenloser Willkür, die den Menschen als Menschen verrät und sein Leben zerstört. Die ethische Frage ist daher nicht, ob die Sexualität des Menschen ein Thema der Medien sein darf, sondern wie diese zum Thema gemacht wird: ob in Ehrfurcht vor der Würde der Person und der spezifischen Aufgabe und Berufung von Ehe und Familie oder in Verkehrung ihres Wesens als angeblich durch keine Grenzen bestimmte Freiheit der Triebbefriedigung, die in Wirklichkeit nicht Freiheit ist, sondern paulinisch gesprochen mit der Sklaverei und Verfallenheit an das „Fleisch“ zusammen fällt.[2]
Weil wir auf diesem Symposion nicht nur Istzustände analysieren wollen, sondern nach Auswegen suchen, um eine gerade im Bereich der Sexualisierung der Medien zutage tretende soziale und kulturelle Dekadenz zu überwinden, gilt es nach den eigentlichen Ursache bestimmter Entwicklungen zu fragen und die Kräfte der sittlichen Verantwortung im Rahmen der menschlichen Freiheit, die von der Gnade Gottes getragen und unterstützt wird, neu zu wecken. Als hilfreich kann sich fürs erste ein Blick auf soziologisch erhobene und empirisch verifizierte Zusammenhänge zwischen der rechtlichen und sittlichen Regulierung der sexuellen Betätigung und dem jeweiligen kulturellen Standard eines Volkes bzw. einer Gesellschaft erweisen.
Die aufgrund empirischer Untersuchungen gewonnene und durch „harte Fakten“ bestätigte soziologische Grundthese des Anthropologen Joseph D. Unwin (1895-1936) lautet, in Kürze auf den Punkt gebracht: Je permissiver Völker und Gesellschaften im Hinblick auf das sexuelle Leben sind, desto niedriger ist der jeweilige kulturelle Standard.[3] Und umgekehrt: Je mehr sich in einer Gesellschaft in Theorie und Praxis die Achtung und Wertschätzung der unauflöslichen Einehe (Monogamie) und der auf sie gegründeten Familie durchsetzt und die sexuellen Energien dadurch in positiver Weise gebunden werden, desto höher ist das geistig-kulturelle Gesamtniveau einer solchen Gesellschaft.[4] Unwin ist zu seiner Untersuchung durch die Theorie der sexuellen Sublimierung Sigmund Freuds angeregt worden, wonach der Treib „von einem ursprünglichen Ziel – z.B. sexueller Natur – auf ein anderes, kulturell höheres, hingelenkt wird.“[5]
Sieben Jahre lang erforschte Unwin achtzig verschiedene Naturvölker und sechs verschiedene Kulturvölker im Hinblick auf den vermuteten Zusammenhang zwischen einem Verbot direkter Befriedigung der sexuellen Antriebe und einer damit korrelierenden gesellschaftlichen Förderung von Kultur und Zivilisation. Er sah sich schließlich veranlasst, seine eigene Lebensphilosophie aufgrund der Ergebnisse seiner Untersuchungen in Frage zu stellen.[6]
Als ausnahmslos gültiges Ergebnis fand Unwin z.B., dass jene Naturvölker, die eine vollkommene voreheliche Enthaltsamkeit für die Frau (d.h. den Zustand der unversehrten physischen Jungfräulichkeit) vor der Ehe verlangten, in religiöser Hinsicht einem Gottes- bzw. Götterglauben anhingen. Wo nur eine eingeschränkte sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe verlangt wurde (im Sinn der sexuellen Treue zu einem bestimmten Mann), wurde eine manistische religiöse Verehrung (Ahnenkult) festgestellt. Wo schließlich die völlige sexuelle Freizügigkeit vor der Ehe zugelassen war, gab es nur die kulturelle Stufe einer magischen Religiosität.[7]
Unwin kam weiters zum Ergebnis: Je stärker bei einem Volk die sexuelle Begrenzung in Richtung auf absolute Monogamie innerhalb der Ehe war, desto vorherrschender war ein expansiver Drang des betreffenden Volkes, was nicht notwendigerweise mit Aggressivität gegen andere Völker gleichzusetzen sei.[8] Aggressivität ist also keine Folge von sexueller Einschränkung; in der Regel ist der Zusammenhang nach Unwin gerade umgekehrt.
In einem noch weiter fortgeschrittenen Zustand werde die Gesellschaft eines Volks rationalistisch: Das Individuum trete mehr und mehr in den Vordergrund, während frühere Gesellschaften stärker auf die Zugehörigkeit des einzelnen zu sozialen Gruppen aufgebaut waren.[9] Das letzte wäre nach Unwin der wissenschaftlich-produktive Zustand, der dann erreicht werde, wenn ein Volk genügend Energie besitze.[10]
Der Energiezustand eines Volkes korreliere mit der jeweiligen Intensität verpflichtender sexueller Enthaltsamkeit, die sich ein Volk auferlege, was sich jeweils einige Generationen später im kulturellen Bereich positiv oder negativ auswirke.[11] Tradition und Erziehung haben nämlich einen Einfluss auf die jeweils nächste Generation.[12] Den großen Einfluss der auf die Frauen bezogenen normativen Aspekte der Sexualität erklärt Unwin durch die primäre Erziehungsfunktion der Frauen für ihre Kinder, wodurch sie für das Ethos der Gesellschaft besonders prägend seien.[13]
Den rechtlich-sittlichen Status absoluter Monogamie sieht Unwin in historischer Analyse verknüpft mit einer Dominanz des Mannes über die Frau; erst allmählich sei es in den jeweiligen Gesellschaften zu einer schrittweisen Gleichberechtigung der Frauen gekommen, was allerdings meist mit einer Lockerung der Festigung des Ehebundes einhergegangen sei und in manchen Fällen auch mit einer größeren Freizügigkeit im Hinblick auf voreheliche Enthaltsamkeit verbunden war. In jenen Fällen habe die „Energie der Gesellschaft“ abgenommen, was sich in kulturellem Niedergang ausgewirkt habe.[14]
Bewertung und Rezeption der Untersuchungen Unwins
Die Grundthese Unwins, wonach es einen eindeutig feststellbaren empirischen Zusammenhang zwischen vorehelicher sexueller Enthaltsamkeit und strikter Monogamie auf der einen und dem höheren kulturellen Status einer Gesellschaft auf der anderen Seite gibt, ist bis jetzt nicht widerlegt. Im Hinblick auf die Zuordnung zu bestimmten Völkern und Gesellschaften ergeben sich freilich Unschärfen, was Unwin auch selber zugibt.
Von einem ethischen und moraltheologischen Standpunkt aus könnte man in Anschluss an Unwin und in Weiterführung seiner Ergebnisse auch den positiven Wert einer sakralen bzw. religiösen Sicht von Ehe, Familie und Sexualität würdigen und feststellen, dass der Glaube an Gott und die damit verbundene religiös-sittliche Praxis zur Stärkung von Ehe und Familie und zur Sublimierung und Integration der sexuellen Urkräfte im sittlichen und kulturellen Bereich wesentlich beitragen.
Etwas konstruiert klingt eine Folgerung Unwins, wonach eine Gesellschaft, die den Ausschluss vorehelicher sexueller Beziehungen sowie die absolute Monogamie in der Ehe verlangt, bei einem relativen Rückfall im ersten Bereich unter Beibehaltung der zweiten Errungenschaft kultisch gesehen den Gottesglauben mit manistischen Elementen vermenge. Damit erklärt er das angeblich erstmalige Auftreten der Heiligenverehrung innerhalb der römisch-katholischen Kirche seit dem 4. Jh. und deren Abschaffung im England des 16. Jh.[15]
Unschwer wird man in der Analyse der gegenwärtigen Gesellschaft so manches von dem verwirklicht finden können, was Unwin als These aufgestellt hat. Freilich ist gerade die pluralistische Gesellschaft keineswegs nur von einem einzigen Faktor oder einer einzigen Tendenz bestimmt, sodass man einfach sagen könnte, es wäre gegenwärtig nur ein sittlicher Verfall im Hinblick auf Ehe und Familie feststellbar. In „Familiaris consortio“ hat Johannes Paul II. ein differenziertes Bild gezeichnet: es gibt sowohl „Licht“ als auch „Schatten“.[16] Dem entsprechen aktuelle soziologische Untersuchungen, wonach bei allem Scheitern und allen Schwierigkeiten von Ehen und Familien auch heute bei vielen Menschen eine tiefe Sehnsucht nach Stabilität einer heterosexuellen Partnerbeziehung in Offenheit für Kinder vorhanden ist, auch wenn dies aus verschiedenen Gründen oft nur unvollkommen oder gar nicht verwirklicht wird. Das „klassische“ Leitbild der Ehe und Familie, das die Kirche sowohl aus der Schöpfungs- als auch aus der Erlösungsordnung begründet, scheint also keineswegs überholt.[17] Seine Substanz ist, wie der Soziologe Franz-Xaver Kaufmann anmerkt, „auch unter liberalen und säkularisierten Bedingungen weitgehend intakt“, wobei er die Werte „Liebe, Treue, wechselseitige Unterstützung, Dauerhaftigkeit ‚bis der Tod Euch scheidet‘“ anführt.[18] Eine Erklärung für diese optimistische Sichtweise trotz aller Defizite lässt sich in der allen Menschen gemeinsamen Wesensnatur und den in sie eingeschriebenen sittlichen Gesetzen auch des ehelichen Zusammenlebens von Mann und Frau finden.[19]
Die von Unwin in seiner Hauptthese aufgezeigten Zusammenhänge sind zwar in einschlägigen Kreisen bekannt und anerkannt; im öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs hindert es gegenwärtig eine so genannte „political correctness“ im Rahmen der Gender- und Homosexualitäts-Ideologie, dass die Ergebnisse Unwins zum Gegenstand weiterer Analysen und Schlussfolgerungen gemacht werden. Die Mentalität des Scientismus, die trotz einer verstärkten Zuwendung zur Natur in ihrem Eigenwert und ihrer Schutzbedürftigkeit noch weiterwirkt, zeigt sich in der vagen und letztlich illusorischen Hoffnung, Wissenschaft und Technik könnten den moralischen Verfall gerade im Bereich der sexuellen Ordnung gleichsam kompensieren. Man meint so im letzten, Moral durch Technik ersetzen zu können. Der Mensch wäre auf diese Weise gleichsam frei geworden von seiner eigenen zweigeschlechtlichen Natur, die nur mehr ein willkürlich zu instrumentalisierendes „biologisches Material“ darstellt. So würde die These Unwins unter den Bedingungen der Industrie- und Informationsgesellschaft angeblich nicht mehr gelten. So jedenfalls die von manchen als Vorwand und Rechtfertigung für das Aufrechterhalten eines sexuell permissiven Lebensstils vorgebrachte Auffassung, die kaum mehr als eine unbewiesene Vermutung darstellt.
Was die Analysen Unwins nicht leisten können und wollen, ist die Ausarbeitung einer philosophischen Anthropologie. Diese aber scheint unerlässlich, um den Stellenwert rechtlicher und sittlicher Verpflichtungen in angemessener Weise begründen und interpretieren zu können. Eine solche Anthropologie im Hinblick auf die personale Gemeinschaft der Ehe und Familie und die damit verbundenen sittlichen Normen betreffend die sexuelle Dimension hat der verstorbene Papst Johannes Paul II. entwickelt, und zwar noch bevor er Papst wurde, nämlich als Anthropologe und Ethiker. Eine umfassende Präsentation seiner Gedanken findet sich im Werk „Liebe und Verantwortung“[20], auf das im folgenden auch Bezug genommen werden soll, wenn die Rede ist von der notwendigen Wiederentdeckung der Keuschheit als Antwort auf die Dekadenz unserer Zeit, die gerade durch die Sexualisierung der Medien sichtbar geworden ist.
Die richtige Antwort gegenüber der Herausforderung der „Sexualisierung der Medien“ als bloß instrumentelle Sicht des Menschen und seines Leibes und als einseitige Fixierung auf Sexualität als sinnliche Bedürfnisbefriedigung kann nur eine sittliche und im letzter Konsequenz eine in der Gottesbeziehung gründende sein. Bloß technische „Rezepte“, und seien sie noch so ausgefeilt und gut gemeint, nützen nichts , wenn wir nicht dort ansetzen, wo unser Herr Jesus Christus die Wurzel sowohl des Guten als auch des Bösen verortet: im menschlichen Herz![21]
Nicht umsonst spricht Jesus in den Seligpreisungen der Bergpredigt von der „Reinheit des Herzens“, die mit der Verheißung der Gottesschau verbunden ist.[22] Sicher ist damit nicht nur die rechte Ordnung des sexuellen Bereichs gemeint, sondern es geht um die Integrität des Menschen als solchen, um sein Heilsein und Heilwerden in der Wahrheit und in der Liebe vor Gott, doch ist gerade die sexuelle Prägung des Menschseins ein konstitutives Element seiner Person, und die rechte Sicht dieser Wirklichkeit und der Umgang mit der Sexualität als triebhafter Urkraft des Menschen ist wesentlich für alles übrige: für das geistig-kulturelle Leben gemäß der Analyse Joseph D. Unwins und insbesondere für die Gottesbeziehung des Menschen. Wer seinen eigenen Leib, der ein Tempel des Heiligen Geistes sein soll[23], entwürdigt und schändet und wer den Mitmenschen in seinem Leib instrumentalisiert (in Gedanken, Worten und Werken), der trübt auch das Bild Gottes im Menschen und verbaut sich und anderen den Zugang zu Gott, der die Liebe und das Leben ist und den man nur schauen kann mit einem reinen Herzen.
Der Sache nach geht es hier um nichts anderes als um die notwendige Wiederentdeckung der Keuschheit als sittlicher Tugend in der Einheit der Gottes- und Nächstenliebe. Eine Tugend zu besitzen und zu verwirklichen bedeutet viel mehr als bloß bürgerliche Anständigkeit oder Bravheit. Es geht gemäß klassischem aristotelisch-thomanischen Verständnis um „das ultimum potentiae, das Äußerste dessen, was ein Mensch sein kann; sie ist die Erfüllung des menschlichen Seinskönnens.“ Es geht um „die Vollendung des Menschen zu einem Tun, durch das er seine Glückseligkeit verwirklicht.“[24]
Der Begriff der Keuschheit ist im gesellschaftlichen Kontext fast zum Fremdwort geworden, und auch innerkirchlich gilt man als Exot, wenn man von ihr spricht. Der „Katechismus der Katholischen Kirche“ tut dies dennoch und stellt heraus, was wirklich damit gemeint ist:
„Keuschheit bedeutet die geglückte Integration der Geschlechtlichkeit in die Person und folglich die innere Einheit des Menschen in seinem leiblichen und geistigen Sein. Die Geschlechtlichkeit, in der sich zeigt, dass der Mensch auch der körperlichen und biologischen Welt angehört, wird persönlich und wahrhaft menschlich, wenn sie in die Beziehung von Person zu Person, in die vollständige und zeitliche unbegrenzte wechselseitige Hingabe von Mann und Frau eingegliedert ist.“[25]
Diese Kurzbeschreibung zeigt auf, dass es bei der Tugend der Keuschheit um keine Unterdrückung und Verleugnung der geschlechtlichen Dimension des Menschseins geht. Im Gegenteil! Ein keuscher Mensch bejaht voll und ganz die eigene sexuelle Prägung und Ausrichtung: Die jeweilige Person nimmt ihr Frau-Sein bzw. Mann-Sein wirklich an und sieht es als Reichtum ihrer Person und als Prägung und Qualifikation, die nicht nur den Leib betrifft, sondern das ganze leibseelische Wesen. Der Sinn so verstandener Keuschheit liegt nicht in der Selbstgenügsamkeit der Person, nicht in einem Sichverschließen gegenüber dem Mitmenschen, vielleicht aus Egoismus oder auch aus falscher „bewahrender“ Ängstlichkeit, sondern in einer Offenheit und Hingabe der Liebe, wie sie in der ehelichen Berufung ihren einzigartigen Ausdruck findet.
Es geht bei der Tugend der Keuschheit sowohl um die Wahrung der „Unversehrtheit der Person“ als auch um die „Ganzheit der Hingabe“, wie der Katechismus ausführt.[26] Wesentlich ist es, die Keuschheit als standesgemäße Tugend zu erkennen, d.h. es gibt nach dem heiligen Ambrosius einen Unterschied zwischen der Keuschheit der Verheirateten, der Verwitweten und der Jungfräulichen.[27] Dabei gilt:
„Verheiratete sind berufen, in ehelicher Keuschheit zu leben; die anderen leben keusch, wenn sie enthaltsam sind.“[28]
Die eheliche Keuschheit entspricht voll und ganz dem Wesen ehelicher Liebe als personale Ganzhingabe und Vereinigung der Partner mit Leib und Seele. Die Einheit der Herzen zeigt sich auch im Ein-Fleisch-Werden, d.h. in der sexuellen Vereinigung der Gatten. Diese ist stets auf humane Weise und als Ausdruck personaler Liebe zu vollziehen.[29] Niemals ist es in der Ehe gestattet, den Ehepartner als Instrument der sexuellen Befriedigung zu missbrauchen. Der innere Zusammenhang der Sinndimensionen der ehelich-sexuellen Vereinigung, nämlich Ausdruck personaler Liebe in Offenheit für das Leben zu sein, darf nicht aufgelöst werden.[30]
Die Keuschheit der Unverheirateten zeigt sich nicht nur in der wirklichen Enthaltsamkeit von allen sexuellen Akten, sei es mit anderen oder auch allein. Es muss auch die rechte innere Haltung gegenüber dem Geschlechtlichen gegeben sein. Entweder ist die Person von ihrer Fähigkeit und Berufung her offen für eine mögliche Ehe und bereitet sich in entsprechender Weise vor, auch durch eine innere Kultur ihrer Affektivität und durch äußere Weisen der Kommunikation, um den geeigneten Partner fürs Leben zu finden.[31] Oder aber eine Person hat erkannt, dass sie entweder nicht (mehr) heiraten kann oder dass im Unverheiratet-Sein sogar ihre eigentliche Berufung liegt, um auf diese Weise einen besonderen Dienst auszuüben und/oder in ausdrücklicher Weise ganz Gott anzugehören. Auch hier darf und soll die sexuelle Prägung und Ausrichtung nicht verleugnet werden. Es ist wichtig, dass auch ehelose und zölibatär-jungfräuliche Menschen eine natürliche und übernatürliche Kultur männlicher bzw. fraulicher Affektivität entwickeln und pflegen, die sie auch befähigt, in sittlich geordneter Freundschaft und Liebe mit anderen Menschen verbunden zu sein. Zugleich muss in kluger Weise dafür Sorge getragen werden, dass allfällige Gefahren für die Wahrung der Keuschheit ausgeschlossen werden und Ärgernisse vermieden werden.
Bei der Einübung in die Tugend der Keuschheit geht es um das schrittweise Erlernen der Selbstbeherrschung und des rechten Maßes im Umgang und Einsatz der uns von Gott geschenkten Kräfte.[32] Dies alles muss im Kontext personaler Liebe geschehen, worin sich die volle Bedeutung der Tugend der Keuschheit zeigt.[33] Von daher wird klar, dass die christliche Tradition stets daran festgehalten hat, dass die Keuschheit bei allem menschlichen Bemühen um sie letztlich eine Gabe Gottes ist, d.h. eine Gnade, die auch erbetet werden muss.[34]
Karol Wojtyła hat in seinen Analysen herausgestellt, dass es bei der Keuschheit um einen zugleich unbefangenen und ehrfurchtsvoll-liebenden Zugang zum eigenen Leib als auch zur leibseelischen Wirklichkeit des Mitmenschen geht.[35] Während wir an uns selber den Leib von unserem Innenleben klar unterscheiden können, begegnet uns der Mitmensch gerade auch in seiner Innerlichkeit immer nur vermittelt durch den Leib. Von daher verbietet sich jede Versachlichung und Instrumentalisierung des Leibes gerade der anderen Person. Wir können den Respekt und die Ehrfurcht, die wir dem Leib des Mitmenschen entgegenbringen, nicht vom Respekt gegenüber dieser oder jener konkreten Person trennen. [36]
In der medialen Präsentation wird nun zwar eine gewisse Distanz gegenüber dem durch Leiblichkeit vermittelten und unmittelbar gegenwärtigen Menschsein aufgebaut, und oft besteht auch eine Anonymität und „Künstlichkeit“ der Perspektive. Doch darf dies nicht zur irrigen Auffassung führen, es gäbe in den Medien überhaupt keinen Bezug zur Wirklichkeit als solcher bzw. zu wirklichen Menschen. Auch wo diese als Schauspieler auftreten oder in eine andere Rolle schlüpfen, können sie doch von ihrer eigenen Persönlichkeit nicht ganz abstrahieren, und insofern kann und darf es nicht gleichgültig sein, welches Verhalten jemand an den Tag legt bzw. welche Rollenerwartung der sog. Rezipient der Medien an die Darsteller hat. Es gibt per se entwürdigende Verhaltensweisen, die durch keine noch so gute Absicht oder Umstände zu rechtfertigen sind.[37] Nicht alles darf man daher in den Medien „zeigen“. Wo es um eine Darstellung des Bösen geht (im Kontext einer wirklich sittlichen Bewertung und nicht als Selbstzweck, d.h. nicht zur Verherrlichung des Bösen) muss auch diese eher mit manchen Andeutungen arbeiten als dass sie das Böse einfach „reproduzieren“ darf, um es so möglichst „realistisch“ darzustellen. Denn eine Quasi-Reproduktion des Bösen würde dessen Immoralität gleichsam medial wiederholen bzw. sogar intentional vervielfachen. Ein derart missverstandener „Realismus“, der beispielsweise eine Vergewaltigung in pornografisch-obszöner Weise zur Darstellung bringt, verleitet eher zu einer partiellen und instrumentellen Sicht der Personen als dass diese Darstellungsform geeignet wäre, das furchtbare Unrecht gegenüber einem Opfer sexueller Gewalt aufzuzeigen.[38] Und so weiter.
Insbesondere die Pornografie (von Medienverantwortlichen mitunter verharmlosend als „Vollerotik“ oder „adult entertainment“ bezeichnet) stellt ein massives gesellschaftliches und sittliches Problem dar und verlangt die Wahrnehmung medialer Verantwortung.[39]
„Pornografie besteht darin, tatsächliche oder vorgetäuschte geschlechtliche Akte vorsätzlich aus der Intimität der Partner herauszunehmen, um sie Dritten vorzuzeigen. Sie verletzt die Keuschheit, weil sie den ehelichen Akt, die intime Hingabe eines Gatten an den anderen, entstellt. Sie verletzt die Würde aller Beteiligten (Schauspieler, Händler, Publikum) schwer; diese werden nämlich zum Gegenstand eines primitiven Vergnügens und zur Quelle eines unerlaubten Profits. Pornografie versetzt alle Beteiligten in eine Scheinwelt. Sie ist eine schwere Verfehlung. Die Staatsgewalt hat die Herstellung und Verbreitung pornografischer Materialien zu verhindern.“[40]
Der eheliche Akt ist etwas, das den Gatten zu eigen ist. Sie brauchen den notwendigen Raum des Schutzes dafür, um ihn so vollziehen zu können, dass er wirklich ein Ausdruck ihrer Ganzhingabe und Liebe ist. Von seinem Wesen her widersetzt sich gerade dieser Akt der Außenbeobachtung, wie Karol Wojtyła aufgezeigt hat.[41]
Der voyeuristische Außenbeobachter eines sexuellen Aktes nimmt ja gerade nicht die innere Dimension der Liebe wahr und kann dies auch gar nicht. Insofern dieser heiligste Akt der Gatten dann gleichsam auf sein biologisches Erscheinungsbild reduziert wird, wird er zugleich radikal entwertet und gerät in den Verdacht, nichts anderes zu sein als ein Akt der Unzucht oder gar der Prostitution, wo es nur um die geschlechtliche Befriedigung als solche geht und die jeweiligen Personen bloß Mittel zum Zweck sind. In der Pornografie und im öffentlich präsentierten erotischen Vergnügen wird die Sexualität aus dem intimen und sie schützenden personalen Bezug herausgenommen und der sexuellen Begierde ausgeliefert.[42] Sexualität wird so zur Ware, und insbesondere die Würde der Frau wird missachtet, was im öffentlichen Bewusstsein inzwischen immer mehr erkannt wird.[43] Eine besonders schwerwiegende Form des Unrechts und der Gewalt stellt die Kinderpornografie dar, unabhängig davon, ob die dargestellten pornografischen Szenen tatsächlich „real“ sind oder „fiktiv“ bzw. „virtuell“.[44]
Angesichts der Sexualisierung der Öffentlichkeit und des Einflusses der Medien ergeben sich einige praktische Folgerungen:
Als Christen leben wir auch in einer weithin von Gott abgewandten Welt immer in der Hoffnung auf Gottes Hilfe und Beistand. Eine Erneuerung der Kultur im christlichen Sinne ist nicht illusorisch. Die Evangelisierung vollzieht sich immer nach dem Prinzip des Sauerteigs im Evangelium[53]. Ein guter Anfang, wie immer und wo immer er geschieht, pflanzt sich fort und findet seine Nachahmer. „Exempla trahunt!“ – Gute Beispiele regen an und bewegen. In diesem Sinn sollte jeder seine Aufgabe und Verantwortung wahrnehmen und nach besten Kräften zu erfüllen trachten: Gottes Beistand und Gnade ist uns jedenfalls zugesagt!
Pedagogia - Notes: